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Zurück zum »persönlichen Computer«Eine Botschaft von Carl Sassenrath Seit über 16 Jahren ist Carl Sassenrath einer der führenden Innovatoren auf dem Gebiet der Betriebssysteme. Er arbeitete für Firmen wie Hewlett-Packard, Apple, Amiga und Commodore. Sassenrath wurde bekannt als Architekt des Amiga-Multitasking-Betriebssystems, einem schnellen und effizienten System, das als eines der ersten dynamisch ladbare Libraries und Gerätetreiber einsetzte. (Nähere Informationen)
Sind Sie zufrieden?Wir leben in einer Zeit enorm leistungsfähiger Personal Computer. Unsere Desktop-Systeme sind mehrere hundert Mal schneller als die großen, teuren Mainframe-Systeme der Vergangenheit. Doch was ist aus all dieser Leistung geworden? Sind Sie zufrieden mit Ihrem Computersystem? Funktioniert und reagiert es so, wie Sie es erwarten? Während des letzten Jahrzehnts wurde die verbesserte Hardware-Performance durch eine exzessive Zunahme von Größe und Komplexität der Systemsoftware zunichte gemacht. Oder vielleicht verhält es sich umgekehrt - die treibende Kraft hinter verbesserter Hardware-Performance war das Bemühen, die immer größeren Unzulänglichkeiten der Software auszugleichen. Denn wie brauchbar wäre Windows 95 auf einem 8-MHz-Computer? Das KomplexitätsproblemDie Entwickler moderner Software verstehen nicht, welche Folgen ihre aufgeblähten Systeme für ihre Benutzer haben. Das Betreiben eines Personal Computers (also eines »persönlichen Computers«) erfordert von uns heute soviel Zeit für Setup-Menüs, Installationsprogramme, Konfigurations-»Wizards« und Hilfs-Datenbanken wie für die produktiven Anwendungen. Firmen wie Microsoft gehen fälschlicherweise davon aus, daß wir Zeit zu verschenken hätten, oder daß es uns sogar Spaß mache, andauernd an ihren Systemen herumzudoktern. Diese geistlose Haltung zieht sich durch alle Aspekte moderner Software-Produkte, angefangen bei den Entwicklungssystemen, mit denen sie programmiert werden, über die Anwendungs-Libraries (APIs), durch die sie angesprochen werden, bis hin zu den Betriebssystemen, die sie zu ihrer Ausführung benötigen. Diese Seuche hat alle Bereiche der Computer-Software durchdrungen - man merkt es, wenn man ein C++-Shareware-Programm von 10 MB übers Netz zieht, ein Betriebssystem-Update von 80 MB installiert, oder ein Developer's Kit auf 10 CD-ROMs erhält. Viele Entwickler verteidigen ihre Software mit dem Argument »Was ist denn so schlimm an einem 10-MB-Programm? Speicher ist doch billig.« Aber eigentlich sagen sie: »Was macht es schon, wenn das Downloaden ein bißchen dauert. Ist doch egal, wenn das Programm Platz auf der Platte und das halbe RAM belegt. Die Konfiguration ist vielleicht ein bißchen zu kompliziert. Na gut, es hat viele sinnlose Features. Aber wenigstens hat es weniger als ein Dutzend offensichtlicher Bugs, und immerhin läuft es mindestens eine Stunde, bevor es abstürzt.« Diese Entwickler verkennen den Kern des Problems: Software-Komplexität. In den letzten Jahren wurde weithin akzeptiert, daß Software von abstruser Komplexität sein müsse. Die Größe der Systeme ist außer Kontrolle geraten und steht in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Nutzen; sie wurden verschwenderisch, zerbrechlich, klobig und langsam. Wie unsere Behörden werden diese komplexen Softwaresysteme mittlerweile durch blühende Bürokratien des Nicht-Denkens aufrechterhalten und angetrieben von ihren eigenen Märkten mit verzweifelten, unerfahrenen Kunden, die keine Alternative sehen. Zurück in die ZukunftFür mich haben die »modernen« Software-Praktiken das Limit erreicht. Während der letzten Jahre träumte ich nicht von der Zukunft, sondern von der Vergangenheit. Vielleicht erinnern Sie sich noch an jene Tage... als eine Textverarbeitung auf einer einzigen Diskette ausgeliefert wurde, und ein damals riesiges Betriebssystem zwei brauchte. Wissen Sie noch, wie wunderbar produktiv man auf einem 7-MHz-System mit einer 10-MB-Festplatte arbeiten konnte? Wenn etwas nicht lief, standen die Chancen nicht schlecht, daß man es selber wieder richten konnte. Für mich geht es bei all dem um »persönliche Computer«, nicht um »persönliche Versklavung«. Es geht darum, daß wir die Herren unserer eigenen Computer sind, und nicht umgekehrt. Vor 10 Jahren stimmte das, aber heute beherrschen wir sie nicht mehr. Ist es möglich, diese Stellung zurückzugewinnen? Oder haben wir sie für immer an die Geschichte verloren, wie das legendäre Tucker-Automobil? Überall höre ich, daß die Welt des PCs vollständig von einem einzigen System dominiert wird - einem System, dem in meinen Augen nicht nur eine konsistente, effiziente und zuverlässige Architektur, sondern auch eine intelligente Vision der Zukunft fehlt. Vielleicht sind wir mit unseren Personal Computern an einem Wendepunkt angekommen, an einem Punkt, an dem wir Stellung beziehen müssen. Es ist meine ehrliche Hoffnung, daß es genügend verstreute Stützpunkte von Rebellen gibt, die so denken wie ich und es ablehnen, sich vor dem »Imperium« zu verneigen (oder dies nur widerwillig tun und sich eine Gelegenheit zur Flucht erhoffen). Mit einer kritischen Masse können wir uns unsere eigene Zukunft erschaffen und zum ursprünglichen Sinn des »persönlichen Computers« zurückkehren. Mein AnteilNachdem ich die Architektur des Amiga-Multitasking-Betriebssystems entworfen hatte, ging ich jahrelang davon aus, daß sich die Betriebssysteme stetig verbessern würden. Ich dachte, wenn fünf Millionen Menschen den Amiga benutzen und sein Design als gelungen erachten, hätte ich meinen Beitrag geleistet. Ich vertagte meine Visionen eines neuen Betriebssystems und glaubte naiverweise, daß andere die Fackel in die bestmögliche Zukunft weitertragen würden. Ich weiß jetzt, daß das ein Fehler war, und bedauere es mittlerweile. Nun bin ich bereit, das System zu entwickeln, über das ich mir während der letzten 10 Jahre Gedanken gemacht habe. Mir geht es dabei nicht um den Clone eines existierenden Computersystems (einschließlich des Amigas). Ich will einen Personal Computer, wie ich ihn selber gerne benutzen würde: ein System, das von Grund auf einfach zu bedienen, konsistent, flexibel, leistungsfähig, klein und schnell ist. Mein Plan umfaßt zwei Phasen. Die erste Phase ist die Fertigstellung einer neuartigen Skript- und Kontrollsprache. Am Design dieser Sprache habe ich während der letzten Jahre immer wieder gearbeitet. Während der letzten Monate geschah dies hauptberuflich; die Sprache ist fast bereit für den Release einer Prototypen-(Alpha)-Version. Im Laufe der nächsten Monate werden Versionen für alle gängigen Plattformen zur Verfügung stehen. Warum eine Sprache? Weil ich glaube, daß der Kern eines Computers nicht im Betriebssystem oder im Prozessor, sondern in den Fähigkeiten der Programmiersprachen liegt. Sprache ist sowohl ein Werkzeug des Denkens als auch ein Mittel zur Kommunikation. So wie unser Denken von der menschlichen Sprache geprägt wird, werden Betriebssysteme von den Programmiersprachen geprägt. Wir implementieren, was wir ausdrücken können. Was nicht ausgedrückt werden kann, wird nicht implementiert. Ist die Sprache dann vollständig und in Verbreitung, soll in der zweiten Phase ein kleines und flexibles Betriebssystem entwickelt werden, das auf einzigartige Weise mit der Sprache verzahnt ist. Das Setzen von Attributen, Kontrollskripte, Konfiguration, Installation, Interprozeß-Kommunikation und verteiltes Berechnen werden durch die Sprache unterstützt werden. Zwar werden Anwendungen immer noch in C und verschiedenen anderen Sprachen geschrieben werden können, jedoch wird ein Teil ihrer Systemschnittstelle über die Betriebssystemsprache laufen. Ein Prototyp-Release dieses Systems ist noch für dieses Jahr geplant und soll auf einigen verschiedenen Hardware-Plattformen laufen. Ihr AnteilDie oben beschriebene Sprache und das Betriebssystem sind umfangreiche Projekte und werden für etliche Zeit all meine Kräfte in Anspruch nehmen. Sie sind meine einzige Aufgabe, ich habe keine anderen Jobs oder Verträge, um mich über die Runden zu bringen. Allerdings habe ich auch keinesfalls die Absicht, mich an eine große Firma zu verkaufen oder von der Gier der Wall Street bestimmen zu lassen. Dadurch würde nur (wieder einmal) die Kontrolle an diejenigen abgegeben, denen die Einsicht und das Verständnis für die besten Entscheidungen der kommenden Jahre fehlt. Stattdessen würde ich gerne erfahren, ob es da draußen genug Menschen gibt, denen es geht wie mir - Menschen, die gerne die Wahl hätten, die ein System möchten, das sie beherrschen können, und die bereit wären, es durch einen finanziellen Beitrag zu unterstützen. Ich habe zwar viele Monate darüber nachgedacht, aber noch nie zuvor ein durch Benutzer finanziertes Projekt gemacht, so daß ich nicht weiß, was ich erwarten soll. Im Moment bin ich hoffnungsvoll, aber auch ein wenig nervös. Das Risiko ist groß. Wenn Ihnen mein Vorschlag gefällt, nehmen Sie ihn sich bitte zu Herzen und denken Sie über meine Worte nach, denn ohne Sie kann ich ihn nicht verwirklichen. Es ist an der Zeit, etwas anderes zu schaffen. Es ist an der Zeit, etwas für uns selbst zu tun. Ich hoffe, daß Sie mit mir gemeinsam gegen die Software-Komplexität rebellieren werden, um uns wieder zu Herren unserer »persönlichen Computer« zu machen. Mit freundlichen Grüßen,
Anregungen per E-Mail an
future@sassenrath.com
Behalten Sie diese Web-Site, www.sassenrath.com, im Auge, wenn Sie nähere Informationen suchen. Von jetzt an sind wöchentlich Änderungen und Ankündigungnen an dieser Stelle zu erwarten.
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