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Kapitel 2: Die frühe IBM

Mit dem Eintritt von Thomas J. Watson bei C-T-R im Jahre 1914 begann die Umwandlung dieser Firma in ein straff organisiertes und äußerst erfolgreiches Unternehmen. 

Thomas J. Watson und John Patterson

Jener fast schon legendäre Thomas Watson hatte, aus ärmlichen Verhältnissen kommend, bei der noch heute existierenden Traditionsfirma 'National Cash Register' (NCR) Karriere gemacht (siehe Diagramm), wo er 1895 als einfacher Verkäufer begonnen und sich 18 Jahre später zum zweitmächtigsten Mann der Firma emporgearbeitet hatte. Dabei sammelte er Erfahrungen in der harten Schule des Firmeninhabers John Patterson, der mit seiner Philosophie eines verkaufsorientierten Unternehmens radikale Neuerungen eingeführt hatte. Nahezu alles, was später zum legendären Ruf Watsons und von IBM beitrug, kann auf Methoden Pattersons zurückgeführt werden.

Statt auf technischen Fortschritt zu setzen, stellte Patterson den Verkäufer in den Mittelpunkt des Unternehmens. Er legte Wert auf ein gepflegtes Erscheinungsbild seiner Verkäufer und Vertreter; sie erhielten ein überdurchschnittliches Gehalt, das sich durch Prämien weiter erhöhen konnte. Jeder Verkäufer hatte eine strenge firmeninterne Schulung zu durchlaufen, in der Patterson ihnen persönlich seine überzeugungen in Form von Schautafeln und Slogans vermittelte. In besonderer Weise war er auf die Zahl Fünf fixiert: Es gab fünf Finger, fünf Sinne, fünf Geldarten (Gold, Silber, Kupfer, Nickel, Papier), und so faßte er jeweils fünf Schlagworte zu einem Slogan zusammen, beispielsweise die fünf 'Hohen C': »Conception - Consequence - Cooperation - Courage - Confidence« (Vorstellung - Konsequenz - Kooperation - Mut - Vertrauen).

Als Watson bei NCR zu mächtig wurde und sich mit dem Firmeninhaber zerstritt, entließ ihn Patterson kurzerhand, worauf ihm Watson, seiner offiziellen Biographie zufolge, Rache schwor. Im Alter von bereits 40 Jahren begann er 1914 bei C-T-R eine neue Karriere, um dort Pattersons Prinzipien von einer verkaufsorientierten Unternehmensführung radikal umzusetzen. Watson übernahm auch Pattersons Vorliebe für Slogans und markigen Sprüche; sein Motto »THINK« wurde weltweit bekannt.5

Schon wenige Jahre später übernahm er die Führung des Unternehmens und trat so die geistige Nachfolge Herman Holleriths an. Watson stellte neues Verkaufspersonal ein und senkte die Preise, um mehr Aufträge zu bekommen. Bald vermietete C-T-R 2500 Maschinen an 650 Firmen; so konnten pro Monat mehr als 100 Millionen Lochkarten verkauft werden. Watson leitete die Firma mit einem fast schon religiösen Eifer, es gab sogar ein firmeneigenes Gesangbuch.6

1924 wurde C-T-R in 'International Business Machines' (IBM) umbenannt. Watson blieb Präsident bis ins Jahr 1952, sein Sohn Thomas Watson Jr. wurde sein Nachfolger. Thomas J. Watson Sr. starb 1956 im Alter von 82 Jahren. 

IBMs Büromaschinen

Bei C-T-R zehrte man noch lange von Holleriths Entwicklungen. Seine Praxis, Geräte zu vermieten anstatt sie zu verkaufen, wurde beibehalten. Statt auf Innovation setzte man auf die Verbesserung vorhandener Produkte. Treibende Kraft waren dabei die Wünsche der Kunden, die die Hollerith-Maschinen benutzten. Es wurden zum Beispiel Buchungsmaschinen benötigt, die ein Saldo (Differenz zwischen Soll und Haben) berechnen konnten; also integrierte man die Subtraktion. Außerdem wurden die Maschinen mit Druckwerken ausgestattet, die nicht nur das Rechenergebnis, sondern bald auch alphanumerische Zeichen zu Papier bringen konnten. Die Rechenfähigkeiten wurden weiter ausgebaut; in den dreißiger Jahren beherrschten die Buchungsmaschinen alle Grundrechenarten. 

Rechenstanzer

Einen weiteren Schritt in Richtung Universalrechner stellten die sogenannten Rechenstanzer (calculating punches, calculators) der dreißiger Jahre dar. Sie waren in der Lage, eine Lochkarte auszuwerten, eine Berechnung auszuführen und das Ergebnis dann auf dieser Lochkarte einzustanzen. Dies unterschied sie von den Tabellier- und Buchungsmaschinen, die ein Rechenergebnis nur intern in einem sogenannten Akkumulator speichern und nach einem kompletten Arbeitsgang anzeigen oder ausdrucken konnten.

Zur Steuerung einer solchen, schon recht komplexen Maschine wurden auswechselbare Schalttafeln (plugboards) verwendet, die denen einer Telefonvermittlung ähnlich waren und auf eine Idee Holleriths zurückgingen. Mit Hilfe von Steckkabeln konnte darauf die Interpretation der Lochkarte sowie die auszuführenden Operationen, also die gesamte Kontrollogik des Rechenstanzers, implementiert werden. Die korrekte Verkabelung einer Schalttafel dauerte Wochen und Monate; die Tafel stellte dann jedoch das 'Programm' eines bestimmten Arbeitsgangs, beispielsweise der Lohnabrechnung, dar. Zwar erreichte man dadurch eine gewisse Programmierbarkeit und konnte eine Maschine für verschiedene Arbeitsgänge verwenden; Schalttafeln konnten jedoch nur kurze, immer gleiche Zyklen steuern. Aufgrund des starren Synchronismus zwischen Kontrolle und Kartenmechanik waren nur Vorwärtssprünge im Kontrollablauf möglich.

Bekanntester Vertreter der Rechenstanzer war das IBM Modell 604, das in den vierziger Jahren auf den Markt kam. Es verwendete bereits Röhrentechnik und konnte so wesentlich schneller rechnen als die elektromechanischen Modelle. Außerdem bot es Speicher für 32 Ziffern; über die Schalttafel konnten 20 (später 60) Arbeitsschritte programmiert werden. Dadurch eröffnete sich ein weites Verwendungsfeld, und die 604 wurde zum »Arbeitspferd« vieler Betriebe; noch 1975 waren von den 5600 verkauften Maschinen 400 Stück im Einsatz. 

Die Lochkarte

Die Lochkarte war lange Zeit das prägende Symbol für die Datenverarbeitung und wurde in dem 1928 eingeführten 80-stelligen Standardformat von der Größe einer 1-Dollar-Note bis in die achziger Jahre hinein verwendet, hatte dann jedoch gegen magnetische und optische Speichermedien keine Chance mehr.

Sie bot im Vergleich zu heutigen Massenspeichern allerdings auch gewisse Vorteile (zitiert nach einer IBM-Publikation von ca. 1975): Sie war zunächst einmal billig, was sich allerdings im Vergleich zur Kapazität relativiert, und, im Gegensatz zu einer Diskette, mechanisch mischbar, außerdem sowohl maschinell als auch visuell lesbar. Vor allem aber bot sie ein Signal-Störverhältnis mit dem überragenden Wert von mehr als 106, denn die eingestanzten Löcher waren natürlich deutlich zu erkennen. 

Kaufmännische Anwendung

Auch nach dem Aufkommen der ersten Computer in den fünfziger Jahren ging die Entwicklung der Buchungsmaschinen und Rechenstanzer weiter und verlief bis in die sechziger Jahre parallel dazu. Im Gegensatz zu den Computern waren die Hollerith-Maschinen etabliert und ausgereift, boten verläßliche Technik und waren erschwinglich. Ihre Stärken lagen in der Verarbeitung vieler gleichartiger Daten mit wenigen Operationen, wie sie zum Beispiel bei Kontenbewegungen, Lohnabrechnungen und bei der Lagerverwaltung anfielen. Die ersten Computer wurden daher lange Zeit fast ausschließlich für wissenschaftliche Anwendungen verwendet.

In den fünfziger Jahren wurden spezielle Computer für kaufmännische Anwendungen entwickelt, zum Beispiel das IBM Modell 702: Er arbeitete zeichen- statt wortorientiert und bot eigens Maschinenbefehle, um beispielsweise führende Nullen vor Zahlen zu streichen oder Dezimalpunkte einzufügen. Dies zeigt deutlich, daß man zu dieser Zeit den Computer noch nicht allgemein als universellen Symbolverarbeiter, sondern als spezielle Maschine zur Lösung spezieller Probleme ansah.


5
Die Arbeiter einer benachbarten Schuhfabrik zogen des öfteren am Gebäude von C-T-R vorbei und sangen ein Spottlied: »While you're thinking, we're drinking...« [16]
6
»... Mr. Watson ist ein Mann / den man wirklich preisen kann. / Er führt das C-T-R / und ist ein Mann von Treu und Ehr. / Hört Ihr Leut und gebt fein acht / er zeigt uns, wie man Kohle macht.« [16]


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Copyright © 1998 Stefan Winterstein. Verbreitung dieses Textes außerhalb des WWW nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.